Teil 10 - Botni
Ein kurzer Blick aus dem Zelt verrät uns: Der Zauber vom Vorabend versteckt sich irgendwo hinter einer dicken grauen Wolkenwand und einem Vorhang aus leichtem Sprühregen. Wir ziehen das Frühstück in die Länge, vielleicht hört es in der Zeit auf zu regnen. Tut es tatsächlich auch und wir wandern los. Schnell finden wir uns direkt neben dem Sellandafjall wieder und folgen einem Bach. Der Himmel beginnt etwas aufzuziehen und wir beschließen, an einer kleinen Sandbucht eine Rast einzulegen. Wir trinken und essen einen Schokoriegel, ich durchwate das erste Mal ein wenig Wasser mit meinen Schuhen (sie halten dicht, juhu!), wir setzen noch ein, zwei Nachrichten an die Ladies ab und vergessen für einen Moment, dass wir noch ein gutes Stück vor uns haben, wollen wir es bis zur Hütte Botni schaffen.
- Nicht mehr ganz so schön wie am Vorabend
Der dauernde Netzempfang ist zwar löblich in Hinsicht auf die isländische Infrastruktur zu erwähnen, jedoch erwischen wir uns recht häufig dabei, wie wir bei Pausen doch einen Blick auf die Telefone werfen, was das ursprüngliche Gefühl einer solchen Wanderung ein wenig trübt. Zum Glück nenne ich ein iPhone mein Eigen und somit wird sich dieses Problem relativ zeitnah für mich erledigt haben. Habe auch nicht vor, es wieder aufzuladen, für Notfälle habe ich noch ein Steinzeit-Handy dabei. Vor der Reise war eigentlich nicht geplant, 2 Telefone mitzuschleppen, aber wir haben uns dann doch dazu entschieden, will man Familie und die Frauen der Schöpfung ja nicht völlig im Dunkeln lassen (einfache SMS schienen uns hier zu kostenintensiv als ein paar MB für diverse Messenger, man spart ja, wo man kann).
- Unsere kleine Lagune
Wir rappeln uns auf und nähern uns laut Karte langsam unserer ersten Furt. Lange sehen wir nichts, bis der Hagalækur hinter einem Hügel vor uns auftaucht. Ein Stück ist es noch, aber Moment: Was ist das? Wir machen eine kleine Gruppe Menschen aus, die gerade dabei sind, den Bach zu queren und obwohl wir ja eigentlich die Einsamkeit genießen wollen, legen wir einen Zahn zu, denn irgendwie freut man sich schon, wenn man Gleichgesinnte trifft. Am Wasser angekommen, lote ich behutsam sämtliche Stellen aus, die sich zum Furten eignen. Selbstbewusst und so tuend, als hätte ich Ahnung, teile ich Emil mit, welche Stelle ich für am geeignetsten halte. Da seine Schuhe nur wasserabweisend sind, beginnt er seine Schuhe zu wechseln. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich den Bach in meinen Wanderschuhen durchqueren kann. Also los: Kamera verpacken, Hüftgurt auf und Start.
Ich stehe in der Mitte des Baches, das Wasser gefährlich nahe an den Rändern meiner Schuhe. Meine enorme Erfahrung hat mir hier wohl einen Streich gespielt und das Wasser war tiefer als erwartet. Das Wasser drückt ebenfalls stärker als angenommen, allerdings lässt sich diese Kraft gut mit den Wanderstöcken kompensieren. Wissend, dass sich meine Schuhe bei der kleinsten falschen Bewegung in Schöpfeimer verwandeln, drehe ich vorsichtig um und wate zurück zum Ufer. Emil ist mittlerweile schon auf der anderen Seite angekommen, während ich beginne, meine Schuhe zu wechseln. Wenigstens stellt sich gleich heraus, wie gut sich die Crocs machen, die ich mir für diesen Zweck angeschafft habe. Wir haben auch noch Neoprensocken, auf welche wir, auf Grund der Breite des Flüssleins, verzichten. Neuer Versuch. An der tiefsten Stelle reicht das Wasser bis kurz unter mein Knie. Es lebe mein Schätzungsvermögen.
Es beginnt wieder zu regnen und wir ziehen das Tempo, die anderen Wanderer immer im Blick. Wir kommen an eine Kreuzung und drehen in die Richtung, in die das Schild mit der Aufschrift "Askja" zeigt. Ehrfurcht macht sich breit. An der nächsten Kurve treffen wir auf die anderen Verrückten. Es stellt sich heraus, dass sie zu einer Gruppe von "British Exploring" gehören, eine Art Gesellschaft, die Abenteuerreisen organisiert und durchführt. Sie teilen uns mit, dass 16 ihrer Leute heute Nacht die Hütte Botni besetzen. Trotz der Freundlichkeit der Leute nehmen wir die Info mit gemischten Gefühlen auf. Wir verabschieden uns und machen uns auf zur Hütte.
Der Regen hat den Boden aufgeweicht, der Weg ist schlammig und holprig und zehrt sehr an den Kräften. Wir brauchen gefühlt doppelt so viel Kraft, um voran zu kommen. Die Entfernung auf dem GPS wird kleiner. Wir befinden uns nun wieder in einem Lavafeld. Der Weg wird noch ein wenig gröber und wir kämpfen uns voran. Beine und Füße schmerzen heftig. Wir passieren das Schild "Botni". Die aufkommende Freude wird durch einen stechenden Schmerz, der von den Beinen durch den gesamten Körper zuckt, im Keim erstickt. Unsere Augen wandern durch die graue Landschaft, aber es ist nichts zu sehen. Das GPS zeigt noch 400m. Keine Hütte ist in Sicht. Haben wir die richtigen Koordinaten eingegeben? Wieso kann man die verfluchte Hütte nicht sehen? UND WANN LÄSST DIESER BESCHISSENE REGEN NACH?!
Nach der nächsten Kurve steht sie auf einmal in ihrer vollen Pracht vor uns. Klein, aber fein, wie gerade aus dem Boden gesprießt. Davor geschätzt 9 Zelte und eine Menge Teenager, die sich an diesen versuchen. Wir begrüßen alle und bahnen uns den Weg zum Eingang. Extrem erleichtert wechseln wir schnell die Klamotten und hängen die nassen zum Trocknen auf. Innen liegt noch ein Spanier, der allerdings nur grinst und wenig bis gar nicht redet. Ich schlüpfe in meine schon wieder trockenen Gummilatschen und humple zum Ausgang. Die Engländer sind super unterwegs, alle im Alter zwischen 16 und 25 und haben so einiges mitzuteilen. Der "Chef" erzählt mir, dass sie zwar in der Hütte essen und sich aufhalten, allerdings draußen in ihren 14 Zelten (jaja, das Schätzungsvermögen) schlafen. Nach dem Essen liegen wir beide völlig geschafft auf dem Bett und genießen den Komfort der Hütte.
- Nachwirkungen des Tages
- Vorbereitung für den nächsten Tag
Es ist warm, trocken und die Atmosphäre ist dank der kartenspielenden Engländer ziemlich heiter. Der Regen lässt nach und wir erkunden noch etwas die nähere Umgebung (so ca. im Umkreis von 7m um die Hütte). Das kleine Toilettenhäuschen kommt witzig daher, allerdings ist es zu diesem Zeitpunkt nicht benutzbar, da der "Hügel" schon über dem Deckelrand stand. Finden wir noch etwas witziger. Gut amüsiert gönnen wir uns auf der "Veranda" noch eine Zigarette mit zwei unserer englischen Freunde und erhaschen sogar noch einen Blick auf die untergehende Sonne. Ein gelungener Abschluss für einen anstrengenden Tag. Keine zwei Minuten im Bett, befinden wir uns schon tief im Schlummerland.