Aus dem Tagebuch eines Hüttenwartes

Erfahrungsaustausch mal ausführlich.
Sven
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Beitrag von Sven » So 1. Jun 2008, 11:58

Uh Strom und GSM Empfang. Klingt in der Tat nicht so richtig gut als Zukunftsvision. Wird dann vermutlich bald mehr so wie in einem groesseren Teil der Alpen wo der Charakter als Alpine Schutzhuette nicht mehr so richtig zu erkennen ist. Andererseits ermoeglicht es dir dann demnaechst ein Liveblog mitten aus der ehml. islaendischen Wildniss zu schreiben. :-/

Das nimmt ja dann sogar beim Paketversand die Komik das die netten Menschen im BSI Terminal immer darauf bestanden haben das ich eine Handy Nummer angebe unter der ich zu erreichen bin. :)
sgm

Beitrag von sgm » So 1. Jun 2008, 12:06

wenn man zur Versorgung der Hütten auf fossile Brennstoffe verzichten will, dann muss man halt einen Tod sterben.
und der wäre halt 'ne Stromleitung!
Aus Sicherheitsgründen ist es zusätzlich nicht verkehrt, wenn es ein funktionierendes Handy-Netz gibt. Wobei ich mich darauf nie verlassen würde, denn selbst in Deutschland ist die Netzabdeckung in einigen Regionen nicht zu 100% gewährleistet. Mir fällt da z.b. spontan ein Tal im Südschwarzwald ein, in dem ich mal ein paar Jahre gewohnt habe.

Ob das dann alles dazu führt, dass es ein Hotel "LM" gibt, oder Zustände wie auf alpinen "Schutzhütten" möchte ich mal bezweifeln. Dafür ist Island dann doch einfach für viele zu teuer und auch nicht so einfach zu bereisen wie die Alpen.
MartinB
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Beitrag von MartinB » Mo 2. Jun 2008, 12:28

sgm hat geschrieben:wenn man zur Versorgung der Hütten auf fossile Brennstoffe verzichten will, dann muss man halt einen Tod sterben.
und der wäre halt 'ne Stromleitung!
Hmm, die spannende Frage ist für mich: Wie viele Liter Diesel verbrauchen die Laster & Baumaschinen zum Bau und beim Unterhalt / Reparatur der Stromleitung, und wie lange könnte damit ein moderner Generator den Strombedarf decken, wenn im Sommer (bei höherem Pumpenstrombedarf, wenn ich Kerstin richtig verstanden habe) mit Solarenergie zusätztlich Strom erzeugt würde???

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Energiebilanz mal aufgestellt wurde. O.K. wenn man es ganz richtig machen will, dann kommen noch die Ressourcen für die Herstellung von Elt-Kabel und Solarzellen jeweils hinzu. Den Ressourcenbedarf durch Baumaschinenverschleiß kann man vermutlich vernachlässigen.
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Chevyartictruck
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Beitrag von Chevyartictruck » Mo 2. Jun 2008, 13:50

Hallo

"Hotel Landmannalaugar"? das wäre doch cool aber wenn mit Hot-Pots ohne Algen und ner Bar 8) :wink:

Gruß Chevy
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Dieter
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Beitrag von Dieter » Mi 4. Jun 2008, 22:13

Hehehehe und soooo sieht dann die Installation aus nachdem der Klempner da war:

Bild

so gesehen in Hveravellir :idea:

Dieter
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Wanderungen über das Hochland Islands
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Kerstin
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Mittwoch, 06. März 2008

Beitrag von Kerstin » Do 5. Jun 2008, 01:33

Mittwoch, 06. März 2008
Was für ein Scheißjob, oder: von betrunkenen Isländern, eingefrorenen Wasserleitungen und verstopften Toiletten

Nach vier wunderschönen Tagen der Ruhe (und des Schlechtwetters) begann am Freitag das unweigerliche Chaos. Es trudelte in Form von sechs angeheiterten Isländern ein, die sich schlimmer benahmen, als eine Gruppe pubertierender Jungs: sie rauchten in der Hütte, besoffen sich bis zum Abwinken, spülten in den kommenden beiden Tagen weder ihr Geschirr noch machten sie sich irgendeine Mühe, irgendwie einmal aufzuräumen. Am Ende ließen sie sogar noch den Müll draußen vor der Tür zurück - und eine Kerstin, die ihnen beinah den Kehraus gemacht hätte! Ich kam mir vor, wie in einem schlechten Film! Sobald ich in den Raum kam, sie anfangs um Ordnung bat und hinterher sogar richtig ungemütlich wurde, rissen sich die Herren am Riemen, ja, entschuldigten sich sogar. Doch sobald ich ihnen den Rücken zukehrte, warfen sie alle Regeln und Versprechen wieder über den Haufen. Die einzig positive Erinnerung, die ich an die Dooftruppe habe, war der Anblick ihrer betretenen Gesichter, als ich in flagranti beim Rauchen im Zimmer überraschte und sie ausschimpfte, wie eine Schullehrerin das wohl mit ertappten Schülern getan hätte.
Unglaublich so ein Verhalten, wirklich! Schlimmer als Kleinkinder sind sie, diese maschinenfixierten Männer; zu groß geratene Kinder, die über keinerlei Verantwortungsbewusstsein verfügen - vom gesunden Menschenverstand einmal ganz abgesehen.

Zu dieser Chaotengruppe gesellten sich am Samstag noch 25 weitere Jeep- und Snowmobilfahrer hinzu. Einer davon war ein ehemaliger Hüttenwart des FÍ, weshalb ich ihn und seine zwei Freunde im Hüttenwarthaus unterbrachte. So sehr ich das Hüttenwarthaus mit seiner Ruhe und seinen neuen Matratzen auch liebe, so übernachte ich an den Wochenenden jedoch immer in der Hütte. Das muss ich, um sicherzustellen, dass die Nachtruhe eingehalten wird - und mir die Betrunkenen nicht die Hütte abfackeln. Ich mische mich nicht ein wenn sich alle gut verstehen oder es wohlmöglich nur eine einzige Gruppe ist; dann können sie meinetwegen machen, was sie wollen - außer die Hütte in Brand setzen oder ins Haus zu kotzen. In beiden Fällen würde ich ziemlich ungemütlich werden, und das sage ich ihnen auch jedes Mal, was den angenehmen Effekt hat, dass bisher weder das eine noch das andere eintrat!
Wenn aber unterschiedliche Gruppen unterschiedlicher Gesinnungen in der Hütte übernachten, wovon die eine Partei die Nacht durchfeiern und die andere Partei schlafen will, dann muss ich anwesend sein und für Ruhe sorgen. Schlaf bekomme ich da selber kaum, bin ich doch immer diejenige, die als letztes schlafen geht und mit als eine der ersten wieder aufsteht. Aber so ist das nun einmal.

Die Nacht war wie erwartet kurz und ich heilfroh, als am Sonntag Mittag alle wieder fort waren und ich in Ruhe putzen konnte. Aber was musste ich da feststellen? Dass beide Klos in meinem Haus rettungslos verstopft waren. Man, was war ich sauer! Erst eine Horde Betrunkener in der Hütte, dann eine so gut wie schlaflose Nacht - und nun das! Da half kein Fluchen, da half kein Schlauch und keine Saugglocke: alles was an Wasser reinging, kam unter dem Klo wieder raus und flutete mein Badezimmer. Leckerlecker, was es da nicht alles zu entdecken gab...

Schlecht gelaunt, wie ich es ohnehin war, habe ich diese Entdeckung lauthals verwünscht, die Badezimmertür hinter mir zugeschlagen und aus Protest in der Hütte übernachtet. Deren Sauberkeit ging vor, und ich hatte wirklich keine Lust, dieses verdammte Klo zu entstopfen. Das hob ich mir für Dienstag auf. Doch auch am Dienstag tat sich nichts. Es war ein wunderschöner Sonnentag (war ja klar dass die Sonne scheint wenn ich mal wieder nicht fort komme, das ist ja so was von typisch!), und ich, alleine in wunderschöner Natur, steckte von oben bis unten in der Scheiße. Halleluja!

Ich war dennoch recht guter Laune (Humor der Verzweiflung nennt sich das wohl), als ich beide Klos abmontierte und versuchte, die Verstopfung irgendwie zu lösen. Gute 12 Meter habe ich einen Schlauch in die Rohre eingeführt, kam dann aber nicht weiter. Als ich dann heißes Wasser voll aufdrehte, entstand ein Springbrunnen, mit dem Resultat, dass das Haus nun endgültig nach Kälberscheiße roch. Für alle die noch nicht auf einem Bauernhof gearbeitet haben: es gibt kaum etwas Widerlicheres als die Scheiße von milchtrinkenden Kälbern. Vor allem nicht, wenn sie ein komplettes Badezimmer flutet und nicht einmal von einem selber stammt...

Irgendwann nachmittags gab ich dann auf, duschte, las mein zehntes Buch zuende und legte mich schließlich schlafen - ich hatte weder Lust noch Energie, wandern zu gehen oder mich weiterhin den Toiletten zu widmen. Das verschob ich auf später.
Später, das war um drei Uhr Nachts - dann nämlich stand ich quietschfidel wieder auf den Beinen. Und was durfte ich feststellen, als ich neugierig die Badezimmertür aufschob und mit meiner Taschenlampe ins Klo leuchtete? Die Verstopfung hatte sich selber entstopft! Die Aktionen, bei denen ich zweimal insgesamt gut einen Liter biologischen Abflussreiniger in den Schlauch spritzte und so viel Heißwasser gegen die Verstopfung pumpte, dass die Scheiße im Badezimmer umherschwamm, haben geholfen. Folglich führte ich mitten in der Nacht einen Kriegstanz auf und stürzte mich dann auf Remontage beider Toiletten und Reinigung der Badezimmer. Endlich wieder guter Laune, füllte ich mir mitten in der Nacht eine Thermoskanne mit heißem Kakao, kleidete mich nach Zwiebelprinzip in alle nur erreichbaren Kleidungsschichten und stapfte dann um halb fünf Uhr morgens mit Kamera und Stativ bewaffnet in die Nacht hinaus.

Schöner hätte das Wetter nicht sein können: sternklarer Himmel, frisch abnehmender Vollmond und heller, reflektierender Schnee wohin das Auge nur sah - perfekte Voraussetzungen für eine Nachtwanderung!

Ich gebe offen zu, dass ich vollkommen unerfahren bin, was Winterwandern angeht. Ich komme aus dem Rheinland, da verstehen wir unter Schnee das weiße Zeug dass allerhöchstens einmal im Jahr vom Himmel kommt und die Wiesen maximal zehn Zentimeter tief bedeckt; gerade genug, damit Kinder vormittags bei steigenden Temperaturen auf Plastikschlitten die Kuhwiesen runterrodeln können. Und auch vier Winter in Island haben mich da nicht wirklich weiterbilden können. Die vergangenen Jahre gab es so gut wie keinen Schnee im Süden und Westen der Insel. Kalt war es, oh ja, ich kenne mich mit Eis aus und bin auf zugefrorenen Flüssen und Fjorden herumgelaufen, aber Schnee? Nein, Schnee und Berge, das sind Mysterien für mich. Mysterien, die ich liebe, aber die nichts desto trotz fremd für mich sind.

Von daher habe ich höchsten Respekt vor den steilen, schneebedeckten Berghängen Landmannalaugars. Dort hängen gut sichtbare Schneebretter, die nur darauf warten, losgetreten zu werden und als Lawine in die Täler zu donnern. Andere, unsichtbare Gefahren gesellen sich dazu: das unter mehreren Metern Schnee begrabene Lavafeld ist warm; der Dampf unterhöhlt den Schnee, und ehe man sich’s versieht befindet man sich ein Stockwerk tiefer. Mehrmals brach ich mit einem Bein von oben in eine kleine Schneehöhle ein; einmal baumelte ich mit beiden Beinen im Nichts - wieso ich nicht eingebrochen bin, ist mir heute noch ein Rästel. Nun ja, auf die Art habe ich jedenfalls ziemlich schnell herausgefunden, dass man mehrere Meter Abstand zu den aus dem Schnee ragenden Lavanasen halten muss, vor allem, wenn sie nicht schneebedeckt sind und wohlmöglich dampfen. Denn eines darf ich bei all der Schönheit der Natur nie vergessen: nämlich die Tatsache, dass ich im Umkreis von Kilometern der einzige Mensch bin. Wenn ich mir das Bein breche, wer erfährt davon? Wer bemerkt rechtzeitig, dass ich unter einer Lawine begraben werde? Niemand. So gerne ich auf jeden einzelnen Berg hier klettern würde, so muss ich mich damit begnügen, meine viel zu selten stattfindenden Exkursionen auf die Tälern zu beschränken.

Also stapfte ich heute morgen im Schein des untergehenden Vollmondes im Zickzackkurs durchs Lavafeld. Das Vorankommen im Pulverschnee gestaltete sich als weit schwieriger als angenommen. Ohne Ski oder Schneeschuhe sank ich normalerweise immer so 40cm ein, gerne auch knietief, ab und zu steckte ich bis zur Hüfte im Schnee. Das war lustig, aber doch recht beschwerlich. Und erinnerte mich einmal mehr daran, wie blöd es doch war, zum Winterhüttenwartdienst anzutreten, ohne Ski mitzubringen!

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Als der Tag anbrach, wartete ich zwischen Háalda und Brennisteinsalda aufs Alpenglühen. Trotz Schneeanzugs und warmem Kakao kroch irgendwann die Kälte zu mir durch - die Temperatur lag bei unter -15°C und die Luft war aufgrund der Dämpfe sehr feucht, kalt-klamm, um genau zu sein. Da ich mit Kälte aber generell nur wenig Probleme habe und außerdem zu fasziniert von den ständig wechselnden Lichtstimmungen war, verging die Zeit wie im Fluge!

Nach fünf Stunden war ich dann wieder zurück an der Hütte, und schon wartete die nächste Überraschung auf mich: im Klohaus herrschten Minusgrade. Ich hatte vergessen, das westliche Fenster über Nacht zu schließen, das ich als Lüftungsfenster offen halte, solange der Generator läuft. Und als direkte Strafe waren also die Wasserleitungen im Haus gefroren. Nach dem hinter mir liegenden Wochenende schockte mich diese Erkenntnis aber nicht wirklich. Im Gegenteil, eigentlich war es ganz lustig, etwas zu tun zu haben! So habe ich die Mittagszeit damit verbracht, die Temperatur von -2° auf über Null zu heben. Dank des laufenden Generators, geschlossener Fenster und auf Sturm laufenden Duschen tauten dann die Wasserhähne wieder auf. Und dann entstanden Springbrunnen: bei den westlichen Waschbecken hatten die Eiskeime die Metallverschlüsse auseinandergedrückt. Als das Wasser dann wieder kam, war erst einmal alles nass, inklusive ich... Aber einfacher hätte es nicht beheben werden können! Statt gespaltene Plastikschläuche zu ersetzen, musste ich einfach nur zwei Metallteile zusammenstecken und eine Mutter anziehen. Praktisch!

Ja, und da sitze ich nun, und habe während ich diese Zeilen tippte längst beschlossen, die vergangenen vier Tage am besten aus dem Kalender zu streichen. Der schöne Ausflug gerade hat mich auch wieder einigermaßen mit der Welt versöhnt, und ich freue mich auf den morgigen Tag, den ich wahrscheinlich wieder ganz alleine hier verbringen werde. Leider hat der Wind während meiner Wanderung von Nord auf West gedreht und ziehen gerade Cirrostratus Wolkenschleier auf. Parallel dazu ist die Temperatur in den vergangenen 10 Stunden um 12 Grad gestiegen. Deutlicher könnte es nicht sein: morgen wird wieder Schneesturm herrschen. Wie gut, dass ich 32 Bücher mitgenommen habe!

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Kerstin
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Freitag, 07.03.2008

Beitrag von Kerstin » So 8. Jun 2008, 01:32

Freitag, 07.03.2008
Vom Nichts und Pinkelschildern, oder: ein bisschen plemplem wird man ja schon...

Es schneit.
Das ist nun wirklich nichts Besonderes in diesem Winter an diesem Ort der Welt. Hier vergeht eigentlich kaum ein Tag ohne Niederschlag, und der kommt halt momentan als Schnee am Boden an. Aber nicht so, wie sich der Normaleuropäer das so vorstellen mag: als große, sanft niederschwebende Flocken á la Klischee-Weihnachtsschnee. Ha, das wäre schön! Nein, wenn ich von Schneefall rede, dann spreche ich in 90% aller Fälle von Pulverschnee im Windkanal. Dann meine ich winzig kleine Eiskristalle, die von den Sturmböen beinahe waagerecht übers Land getrieben werden und die sich eher wie Treibsand verhalten. Es ist eine Art gefrorener Nieselregen, der Wanderdünen bildet, der einen bis zur Hüfte verschlingen kann und einem die Kontaktlinsen aus den Augen haut, sollte man auf die blöde Idee kommen, an Tagen wie diesen ohne Schutzbrille draußen rumzulaufen.


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Whiteout der übelsten Sorte: der Blick auf die Toilettenhäuser, die nur 30m von der Hütte entfernt sind, gesehen bei einem Schneesturm im März 2008

An Sturmtagen wie diesen sitze ich dann immer warm eingemummelt am Fenster und sehe hinaus ins grauweiße Nichts. Whiteout nenne ich das. Alles ist weiß, alles leuchtet in einer einzigen Grundhelligkeit, in einem Farbton, der je nach Tageszeit zwischen weiß bis grau variiert. Die Sicht beträgt dann gerne unter zwanzig Meter. Zwischen den Häusern zu laufen, wird dann zum ungewissen Ratespiel. Ist das Klo jetzt eher links oder eher rechts? Laufe ich voll dagegen oder voll dran vorbei? Das Problem hatte ich in meinen ersten beiden Wochen. Mittlerweile kenne ich die Gegend gut genug, um mich anhand der Form der Schneewehen selbst im Whiteout zu orientieren. Aber der Gang zum Pferdestall, der gut 200m entfernt ist, den spare ich mir an Tagen wie diesen. Bei dem Wetter besteht eh keine Chance, Verbindung zum Telefonnetz herzustellen.

Es sind ruhige Tage, diese Sturmtage. Wenn nicht gerade eine Gruppe abreist und es keine außerplanmäßigen Vorkommnisse gibt, dann sieht mein Tagessoll recht dürftig aus. Ich lese. Ich höre Nachrichten im Radio. Ich schreibe am Computer solange die Batterie reicht. Und manchmal sitze ich wie gesagt einfach nur am Fenster und starre hinaus in das flimmernde Schneechaos und lausche den Windböen, die durch die alten Dichtungen der Fenster sausen und die Hütte brummen und knarren lassen.
Dann denke ich manchmal, dass ich im ganzen Land der einzige Mensch bin, der so bekloppt ist, drei Monate an einem Fleck im winterlichen Hochland auszuharren. Ich dürfte der einzige sein, der momentan eine Hütte bewirtschaftet. Gut, in Hveravellir lebt dieses alte Ehepaar in seinem Haus und schaut nach der Hütte, aber das gilt nicht, die leben da immer und haben Fernsehen, Telefonanschluss, Internet und Strom.

Die Wochen verstreichen langsam, unendlich langsam für deutsche Verhältnisse. Es ist so ruhig, so gänzlich stressfrei - das totale Gegenteil zum normalen, westlichen Leben. Gut, die Wochenenden sind Stress pur und bin ich Sonntags immer fix und fertig mit Nerven und Geduld. Das ist eigentlich erstaunlich, lassen sich doch kaum Menschen hier blicken! Im Schnitt beherberge ich etwa 25 Gäste an einem Samstag und begrüße dazu noch etwa 10 Tagestouristen. Macht etwa 140 Menschen, die ich im vergangenen Monat zu Gesicht bekommen habe. Davon waren 15 Ausländer. Und 5 Frauen. Und die saßen generell auf der Rückbank (Ausländer wie Frauen).

Bevor ich herkam, habe ich große Stille erwartet: ein Ort weit entfernt jeglicher Zivilisation, umrundet nur von Bergen, versunken im Schnee.
Aber still ist es hier nie. Der immerwehende Wind produziert Geräusche aller Arten: sei es das Pfeifen undichter Fenster, das Prasseln von Pulverschnee auf Wellblechdach und Fenstern oder dem eigenen Gesicht, oder gar das Brummen und Heulen, wenn das ganze Haus unter den Sturmböen erzittert. Wenn man sich dann von den Häusern entfernt und sich irgendwo im Windschatten verkriecht, dann hört man die Geräusche der Natur. Das leise Rasseln des Schnees, der in Bodennähe wie Sand weiter und weiter getrieben wird. Dann oben im Lavafeld zu stehen, ist ein Erlebnis der besonderen Art. Nur die höchsten Spitzen der Lavaburgen ragen aus dem Schnee, doch da Lava bekanntlich sehr rau und grobporig ist, fungiert sie wie hundert Flaschenhälse: das ganze Lavafeld singt, wenn starker Wind weht. Es ist ein wahres Konzert, unerwartet musikalisch und erstaunlich schön.
Und wenn es wirklich einmal windstill sein sollte, dann hört man das Rauschen der Quellen und der Bäche, das von den gegenüberliegenden Bergen zurückgeworfen und vervielfältig wird. Dann hört man das Zischen des Dampfes, der hier und da aus dem Lavafeld aufsteigt. Dann zwitschern und singen die Vögel, die sich um die heißen Quellen versammeln. Es ist die immer kleiner werdende Gruppe von Schneefinken, oder die ein bis zwei Raben, die täglich über den Häusern kreisen und Ausschau nach Essensresten halten.

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An jedem Tag sieht die Welt draußen anders aus. Manchmal, wenn die Sonne sich blicken lässt, ist die Welt ein Wintermärchen. Dann schluckt der Schnee jede harte Form und glitzert und leuchtet alles im warmen Schein der Wintersonne. Der Himmel ist dunkelblau, die Cirruswolken wie geschwungene Pinselstriche. Dann leuchtet alles in unbekannter Intensität; auch wenn es kaum andere Farben als das Blau des Himmels zu sehen gibt.
Manchmal, wenn das Thermometer über den Gefrierpunkt klettert, dann sieht man mehr und mehr von den steilen Berghängen, an denen sich kaum Schnee halten kann. Die vulkanische Farbenpracht Landmannalaugars ist im Winter unsichtbar; selbst wenn jetzt Felsen durch den Schnee brechen wirken sie nur dunkel im Kontrast zum gleißenden Weiß.

Wenn es regnet, dann ist die Welt noch ungemütlicher, als an einem Sommerregentag. Alles ist nass, sämtliche Farben werden verschluckt, die Welt ist matschgrau und ungemütlich. Der einzige gute Grund, sich dann draußen aufzuhalten, ist der, in den Quellen baden zu wollen.

In diesem Winter habe ich eine ganz neue Form des Wetters kennengelernt: das Nichts.
Das Nichts beginnt versilbert. Erst ist der Himmel aschfahl und unheilverkündend. Dann sieht man die Sonne nur als hellen Fleck in den silbergrauen Wolken, die allem die Kontraste entziehen. Und plötzlich kommt das Licht von überall und nirgendwo. Dann gibt es keine Schatten mehr, und wenn es keine Schatten gibt, gibt es keine Kontraste. Man kann nicht mehr sagen, wo der Berg aufhört und der Himmel beginnt. Obwohl theoretisch Fernsicht vorhanden sein sollte, läuft man blind durch eine kontrastlose, weiße Welt. Felsnasen und Bäche kann man noch erkennen, aber man hat keinen Größenbezug mehr, weiß nicht, wie weit sie entfernt sind. Sogar Laufen wird zum Abenteuer! Wenn man nicht abschätzen kann, wann die Füße auf Widerstand treffen, dann kann man nicht sehen, wohin man läuft, ob man gerade gegen eine Schneewehe rennt oder gleich eine solche hinabfällt. So absurd es klingen mag, aber ich liebe das Nichts! Es gibt nichts Schöneres, als an Tagen wie diesen über eine unberührte Schneefläche zu laufen, hinein ins Nichts, hinein ins Kontrastlose. Das endet unweigerlich darin, dass man auf die Nase fällt, hinein in den Schnee, den man erst sehen kann wenn man Spuren darin hinterlassen hat.


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Fensterwetter nennen es die Isländer, wenn zwar die Sonne scheint, aber dennoch ein solcher Sturm herrscht, dass man sich eigentlich nicht draußen aufhalten will, sondern das Geschehen lieber durch die Fensterscheibe hindurch beobachtet!

Die Witterung hier habe ich wirklich zu lieben gelernt; es gibt doch nichts Interessanteres, als ständig wechselnde Wetterstimmungen! Mein persönliches Fernsehprogramm, sozusagen...
Apropos Fernsehprogramm. Da es hier nichts gibt, womit ich meine Zeit verschwenden könnte, komme ich hier auf teilweise ziemlich bescheuerte Ideen.
Wandkerzenhalter aus Bierdosen herzustellen gehört noch zu den besseren meiner Einfälle. Auf dem Bauch im Schnee rumzurobben und den Müllcontainer zu finden, in dem man den Kopf in den Schnee steckt und dem Müllgestank folgt, der sich seinen Weg durch die meterdicke Schneedecke bahnt, ist dagegen eher unorthodox. Aber es wirkt. Ich habe ihn gefunden, den Müllcontainer. Nur ausgegraben habe ich ihn nicht, dazu hatte ich dann doch keine Lust.
Statt dessen habe ich begonnen, mich mit Axt und Spaten in die Schneewehe zu graben, die sich gut vier Meter hoch hinter der Hütte auftürmt. Allerdings ist der Schnee auf den unteren beiden Metern schon zu Eis geworden, was mein Vorhaben, ihm eine Zweizimmerwohnung abzutrotzen, etwas erschwert. Das erste Zimmer mit Sitzgelegenheit und Wandregal habe ich in den vergangenen drei Wochen schon fertiggestellt, ebenso den Gang zum zukünftigen Schlafzimmer. Ich habe ja noch ein paar Wochen Zeit, um mein illegales Bauprojekt zu beenden; da ich das Haus als Schneewehe tarne, habe ich auch keine Angst, dass mir die Baubehörde auf die Schliche kommen könnte!

Und dann sind da so Kleinigkeiten, die vielleicht nicht jedem auffallen, denen ich aber den Kampf ansage. Der dummen Angewohnheit, Zigarettenstummel überall im Schnee fallen zu lassen, bin ich zuvorgekommen, indem ich ein Abflussrohr in den Schnee steckte und eine qualmende Zigarette darauf malte - und jeden böse anblaffe, der sich erdreistet, seine Zigarette einfach fortzuschmeißen. Ebenso störte mich die Tatsache, dass die hier übernachtenden Männer sich immer in die Eingangstür stellen und auf die Fußmatte pinkeln. Selbst diejenigen, die ein wenig mehr Einfühlungsvermögen besitzen, gehen nur ein paar Schritte weit, was zur Folge hat, dass sich der Schnee um die Tür herum in allen möglichen (und unmöglichen) Gelb- und Orangetönen einfärbt. Lecker lecker...
Da gab es nur eine Lösung: ein Schild mit der Aufschrift "Pissa hér!" Mit so großen Buchstaben, dass es auch ein Isländer im Vollrausch erkennen kann. Einfach, aber sehr effektiv! Seitdem ist der gelbe Schnee auf den einen Quadratmeter um das Schild konzentriert, und ich hörte, dass es eine Art Herausforderung geworden ist, das Holz des Schildes zu treffen.
Oh man...
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Kerstin
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Sommerpause

Beitrag von Kerstin » So 8. Jun 2008, 01:34

So, und mit diesem Beitrag melde ich mich über den Sommer ab.
Bin ab morgen wieder im Hochland stationiert und werde mich daher wohl nicht vor kommendem Herbst wieder melden.
Einen schönen Sommer wünsche ich euch!
LG - Kerstin
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lena
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Beitrag von lena » So 8. Jun 2008, 10:58

Ja Kerstin, dann viel Spaß über den Sommer, habe eine schöne Zeit und bring uns wieder so wunderschöne Bilder und nette Berichte mit. :)
Sven
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Beitrag von Sven » So 8. Jun 2008, 10:59

Hallo Kerstin,
wuensche dir einen angenehmen Sommer und nochmal vielen Dank fuer die unerhaltsamen Ausfuehrungen. :)

Gruesse,
Sven

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