Iceland - low pressure

Erfahrungsaustausch mal ausführlich.
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Andi Schönberger
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Iceland - low pressure

Beitrag von Andi Schönberger » Mo 31. Mär 2014, 14:05

Iceland - Low Pressure

zum Video auf Vimeo ->
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Jemand hat hier den Schalter umgelegt. Der Wind der während wochenlanger Beobachtung relativ stabil aus den polaren Regionen kam, hat sich nun gedreht. Die Wetterküche aus dem Südwesten bestimmt nun das Geschehen. Anfang März 2014 jagt ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen auf die Atlantikinsel zu. Das eine etwas südlicher das andere etwas nördlicher oder aber es fegt direkt über die Insel hinweg. Die Wetterkapriolen im Hochland sind unübersehbar. Auch bei den Isländern selbst ist das Wetter zum Thema geworden. Stürmische Winde bis an die 140 km/h aus südwestlicher Richtung die jeden Tag nochmals zum West oder Ostwind fast der gleichen Stärke werden. Schwankende Temperaturen, bis zu 20 C° Temperaturunterschied, an einem Tag sind ebenfalls die Folge. Sobald sich die Wolkendecke öffnet kommt der große Frost, wie in einem Gruselfilm. Das im Zelt hängende, vom Schweiß des Tages, noch nasse Softshell erstarrt bei -18 C°. Die Zahnpasta geht kaum noch aus der Tube. Andererseits bringt jeder starke SW Wind immer wieder Wolken und warme Luft heran. Ein Wechselspiel der Temperaturen die ein Leben in der Eiswüste des Sprengisandur nicht gerade erleichtern.

Am vierten Tag der Tour bzw. nach zwei Tagen Marsch im völligen Whiteout und stürmischem Gegenwind kam dann der Sturm der in Europa eigentlich einen eigenen Namen verdienen würde. 4 Jahre mussten vergehen, da bin ich nun wieder in einer ähnlichen Situation wie damals am Vatnajökull. Mit der Erfahrung von damals konnte ich abschätzen was auf mich zukommen würde. Respekt war angesagt und die Vorbereitungen auf den Sturm wurden schon rechtzeitig getroffen.

Eigentlich war geplant in Laugafell in der Hütte zu übernachten. Allerdings war die Türe zu der Hütte trotz des Codes den ich hatte nicht zu öffnen. Ein Anruf bei Ferðafélag Akureyrar blieb ergebnislos, das zusätzliche Schloss an der Türe war verschlossen. Gut dass ich mich auf mein Hilleberg Tarra verlassen kann. Zum 1ten mal hatte ich mein neues Outdoor-Smartphone mit Touchscreen mit auf Tour. Bei Schneesturm wird das Display sofort nass. Eine Bedienung ist dadurch nur schwer möglich und mit Handschuhen erst recht. Möchte man sich das Gerät unter die Kaputze klemmen sodass man bei starkem Wind irgendetwas hören kann, berührt man mit dem Gesicht unweigerlich den Touchscreen. Dadurch wird irgendeine Funktion am Telefon aufgerufen die man in dem Moment gerade gar nicht gebrauchen kann (z.Bsp. Stumm schalten ) und ein Gespräch wird dadurch fast unmöglich. In Zukunft kommt wieder mein altes Tastentelefon mit.

Das Zelt wurde also nun in eine tiefe Schneemulde gestellt und zusätzlich durch extra große Schneemauern gegen den Wind abgesichert.

Der Name Iceland für dieses Land wird einem dabei einprägsam vor Augen gehalten. Orkanartige Winde mit Schnee und nochmals Schnee. Der Kampf mit dem Schnee muss gewonnen werden. Immer wieder versuche ich von der Zeltinnenseite aus, mit den Händen, den von der Außenseite gegen die Zeltwände drückenden Schnee zu verfestigen. Kein Zelt ist perfekt. Das Hilleberg Tarra hat etwas flache Apsiden für die Schneemenge die da niedergeht. Allerdings ist da mit der Schneeschaufel die unter die Apside gespannt wird, schnell Abhilfe geleistet. Ich fühle mich wie in einer Sanduhr. Der Schnee steigt immer höher und das Zelt wird fast zur Gänze vom Schnee zugeweht. Man darf sich nicht unterkriegen lassen, auch bei widrigsten Bedingungen den Gang nach draußen nicht scheuen um das Zelt auszugraben. Alles muss sehr schnell gehen sonst ist das Zelt durch den großen Schneedruck zerstört. Ich hechte mich aus dem Zelt denn der Eingang des Zeltes war bereits fast zur Gänze von einer Schneewächte versperrt. Größte Vorsicht ist geboten. Eine falsche Bewegung mit der Schaufel und die Zeltplane ist zerrissen. Der fliegende Schneestaub, wie durch eine Turbine geblasen, rast heran und lässt die Sichtweite gegen null gehen. Völlig durchnässt komme ich immer wieder ins Zelt zurück. Danach kommt eine Wetterfront mit Regen. Der Wind hat sich während der Stunden, wie üblich bei diesen Stürmen, um ca. 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn, gedreht. Die Schneemauern sind diesmal richtig positioniert. Hernach kommt der große Frost. Da erstarrt alles zu Eis, da und dort durchsichtig wie Glas. Das Zelt ist nun in einem Eispanzer gefangen, bis zu Einem Meter tief verschüttet. Der Eispickel schafft am nächsten Tag Abhilfe. Jeder Abspannleine wird separat nachgegraben denn jeder Schneehering ist wertvoll. Nach zwei Stunden graben kann die Reise weiter gehen. Die Wettervorhersage für die nächsten Tage wird allerdings nicht viel besser, ganz im Gegenteil.

Ein Optimist glaubte dieser Wettervorhersage noch nicht ganz. Deshalb wird die Tour in den Süden weiter fortgesetzt. Der Sturm hatte den Untergrund komplett vereist. Ein Gehen ohne Skifelle ist auf dem spiegelglatten Untergrund unmöglich geworden. Etwas ab von meinem Weg, ca. 15 km südlich von Laugafell, erblicke ich einen großen Jeep im Schnee. Ich nehme kurz die Kamera mit dem Teleobjektiv zur Hand und sehe mir das genauer an. Noch überlege ich mir den Jeep genauer anzusehen. Doch irgendwie behagt mir der Gedanke nicht in den Jeep hineinzusehen. Es gibt dort kein Lebenszeichen und ich nehme einmal an dass das Auto sicher noch mindestens 3 Monate dort stehen bleiben muss bis es abgeholt werden kann. So lange dauert es noch bis die Schneeschmelze im Hochland vorüber ist. Plötzlich wird der Blick zum Hofsjökull frei. Was für eine Schönheit in Ihrem weißen Kleid denke ich mir.

Nach einer ruhigen Nacht und einem schönen gestrigen Tag blicke ich am Morgen aus dem Zelt. Nieselregen und Whiteout. Die Sichtweite beträgt etwa 30 m und langsam bekomme ich etwas Platzangst von diesem tagelangen Nichts sehen. 4 von 6 Tagen blicke ich nun bereits in das weiße Nichts. Das Hochland hat heuer viel Schnee abbekommen. Es sind nur sehr wenige Steine sichtbar. Stundenlag torkle ich ohne Sicht durch die Gegend. Nach etwa 4 Stunden komme ich auf den alten Reitweg des Sprengisandur und danach auf eine Piste mit ein paar wenigen Markierungen. Ich war dankbar um jeden Holzstecken der mir Weg zeigte und mir der mir das dauernde Navigieren mit dem GPS ersparte. Freude kam beim Anblick der zwei Steinwarten auf, die die Furt über die Fjórðungakvísl markieren. Vorletzten Sommer überquerten wir den Fluss an dieser Stelle auf dem Weg vom Þjórsájökull nach Nyidalur.

Nach 7 Stunden kam ich dann doch noch 25 km weit. War allerdings von dem warmen Wetter und dem Nieselregen komplett durchnässt. Am Abend fand ich überaschenderweise noch einen schönen Zeltplatz direkt neben der offenen Þjórsá. Einem richtigen Waschgang im Fluss stand also nichts im Wege.
Den Plan vom Norden her über das þjórsárdalur nach Hrauneyjar zu gehen hatte ich schon vor Tagen verworfen. Zu viele Bäche waren noch offen sodass an eine Querung der Sóleyjarhöfðavað nicht zu denken war.

Schon in Laugafell war ich mir nicht mehr sicher ob die Tour auf Grund der Wettervorhersage zu Ende zu führen sei. Der nächste Tag betätigte mich die Tour abzubrechen. Der Wind aus SW legte am Morgen wieder so stark zu dass mir die Lust, noch Tagelang gegen diese Natur anzukämpfen, ziemlich schnell verging. Noch dazu war für die darauf folgenden Tage immer wieder starker Wind aus SW und Schneefall vorhergesagt. Da war ein Weiterkommen sicher wieder unmöglich.

Der Entschluss die Tour als bald als möglich zu beenden war gefasst. Sollte morgen noch einmal etwas besseres Wetter sein, dachte ich mir, ist es sicher sinnvoll, sich heute schon um ein „Taxi“ zu kümmern bevor das nächste Sturmtief zu wüten beginnt. South Iceland Adventure wurde angerufen. Die Agentur bewirtschaftet eine private Hütte am Kvislavatn. Sie sind mit Ihren Jeeps regelmäßig im südlichen Sprengisandur unterwegs. Das Glück war diesmal auf meiner Seite. Ich machte mich auf in Richtung Süden und schon am späten Nachmittag konnte mich Stepnir etwas nördlich des Kvislavatn mit an Bord seines Jeeps nehmen. Er war gerade mit seinen Kunden von der Hütte aufgebrochen und nahm eine Stunde Umweg für mich in Kauf. Vielen Dank nochmals an dieser Stelle an Ihn. 4 Stunden bis Hrauneyjar dauerte die Fahrt. 4 Stunden statt 4 Tage.

Etwas Trauer kommt da des Abbruches wegen noch auf. Doch die Tage danach bestätigten meinen Entschluss. Das nächste Islandtief bahnte sich schon wieder seinen Weg über die Insel hinweg
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Video Portal http://vimeo.com/user1390856/videos
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Re: Iceland - low pressure

Beitrag von snaefell » Mo 31. Mär 2014, 15:06

Hallo Andi,
danke für den Bericht. Er zeigt sehr schön, das man Island nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

Gruss

Christian
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Re: Iceland - low pressure

Beitrag von troll » Mi 2. Apr 2014, 16:28

Absolut beeindruckend das Video (vor allem, wenn man den Bericht vorher liest ;) )! Danke fürs Herzeigen!
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Primordial
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Re: Iceland - low pressure

Beitrag von Primordial » So 13. Apr 2014, 21:24

Hallo Andi.

Vielen Dank für diesen interessanten Kurzbericht und das beeindruckende Video. Ist besonders spannend für mich da wir zur gleichen Zeit unsere Tour begonnen haben.

Die Szenen mit Gleitschirmunterstützung sehen wirklich spektakulär aus, dagegen waren wir eher wie eine lahme Schnecke unterwegs und froh wenn wir 15km am Tag schafften…

Interessant finde ich auch deine Erfahrungen mit dem Outdoor Smartphone. Wir hatten zum Abrufen von Wetterberichten ein normales Smartphone dabei. Das hat allerdings recht schnell bei Minustemperaturen den Geist aufgegeben. Bedienung bei Schneefall war auch eher schwierig, aber scheinbar hat die Outdoor Variante da auch keinen Vorteil. Gut, dass ich mein uraltes 5140i dabei hatte, das hält durch bis -23°C und es hat diese heutzutage fast unbekannten Bedienungselemente...

LG
jens
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Andi Schönberger
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Re: Iceland - low pressure

Beitrag von Andi Schönberger » Mo 14. Apr 2014, 14:02

Hallo Jens

Danke! Bin allerdings auf Deine weiteren Bilder gespannt... Da wollte ich doch schon immer mal hin

hier sind noch ein paar Bilder vom Snaefellsjökull. Da war allerdings bei ca 900hm auch Schluß. Der Wind war einfach zu heftig.
IMG_4134.jpg
Der Vorgipfel
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In Richtung Arnarstapi beim Aufstieg
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Südküste
IMG_4156_2.JPG
Südküste
IMG_4145_2.JPG
Hellnar

LG Andi
Island Bildergallerie: http://www.andreas-schoenberger.at
Video Portal http://vimeo.com/user1390856/videos
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Re: Iceland - low pressure

Beitrag von Andi Schönberger » Di 21. Okt 2014, 11:40

hier noch ein wunderbarer Link zum Thema Wind und Low Pressure

aktuelle Windkarte http://earth.nullschool.net/#current/wi ... 60.40,1542

LG Andi
Island Bildergallerie: http://www.andreas-schoenberger.at
Video Portal http://vimeo.com/user1390856/videos
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Re: Iceland - low pressure

Beitrag von didi » Di 21. Okt 2014, 20:56

hier auch noch was zum Thema Wind :oops: :
http://icelandreview.com/news/2014/10/2 ... nter-storm

lg
didi

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